Stecken wir vielleicht schon mittendrin?
Aussagen der Mutter zum "Jüngsten Gericht"
Satprem: Als du die Erfahrung vom 3. Februar 1958 hattest (das supramentale Schiff), erschien dir die Sicht deines gewohnten Bewusstseins, das dennoch ein Wahrheits-Bewusstsein ist, überhaupt nicht mehr wahr. Sahst du Dinge, die du nie zuvor gesehen hattest, oder sahst du die Dinge anders?
Mutter: "Unser Bewusstsein hier ist wahr in Bezug auf unsere gegenwärtige Welt, aber das andere ... ist etwas ganz anderes. Es bedarf einer Anpassung, damit die beiden sich berühren können, sonst springt man vom einen zum anderen. Das geht nicht. Es muss einen graduellen Übergang vom einen zum anderen geben. Das heißt, es fehlen eine ganze Vielzahl von Bewusstseinsstufen. Unser Bewusstsein hier muss bewusst mit dem anderen Bewusstsein in Verbindung gebracht werden, das bedeutet eine Menge von Stufen, die vom einen zum anderen führen. Dann kann man graduell aufsteigen, und die Gesamtheit steigt auf.
Die Wirkung wird ein wenig wie die Beschreibung des Jüngsten Gerichts sein. Das ist eine absolut symbolische Form zur Vermittlung des Unterscheidungsvermögens zwischen dem, was der lügenhaften Welt angehört, die verschwinden muss, und dem, was zwar derselben Welt der Unwissenheit und der Trägheit angehört, was sich aber verwandeln kann. Das eine wird zur einen Seite gehen, das andere zur anderen. Alles, was sich transformieren kann, wird mehr und mehr von der neuen Substanz und dem neuen Bewusstsein durchdrungen werden, bis es dorthin aufsteigen kann und zum Verbindungsglied zwischen beiden wird. Aber alles, was unverbesserlich der Lüge und der Unwissenheit angehört, wird verschwinden. So wurde es auch in der Gita vorhergesagt: unter den Kräften, die wir als gegnerisch oder anti-göttlich bezeichnen, werden jene, die zur Transformation fähig sind, aufsteigen und sich dem neuen Bewusstsein nähern, während all das, was unwiderruflich in der Nacht und im Unwillen verwurzelt ist, zerstört wird und aus dem Universum verschwindet. Sicherlich wird es einen Teil der Menschheit geben, der etwas zu ... enthusiastisch auf diese Kräfte geantwortet hat und mit ihnen verschwinden wird. Das ist es, was in dem Begriff des Jüngsten Gerichts zum Ausdruck kommt."
Das folgende Entretiens steht im Zusammenhang mit dieser Unterhaltung und wurde von Mutter ausführlich kommentiert. Für mich eine ihrer interessantesten Aussagen:
"Wir bereiten den Verbindungspunkt vor, den Kommunikationspunkt, die Brücke zwischen dem mentalen menschlichen Bewusstsein und dem übermenschlichen und supramentalen Bewusstsein. Eine ganze Übergangswelt wird geschaffen, eine neue Schöpfung manifestiert und materialisiert sich. Um sich hier auf der Erde zu verwirklichen, muss diese Schöpfung sich der bereits bestehenden materiellen Mittel und Kräfte bedienen, jedoch in einer neuen Weise, die sich den neuen Bedürfnissen anpasst. Eine der wesentlichsten Kräfte ist die Finanzmacht."
"Eines scheint offensichtlich: die Menschheit hat einen bestimmten Zustand allgemeiner Spannung erreicht – Spannung der Anstrengung, Spannung der Handlung, sogar Spannung des täglichen Lebens –, mit einer derart übertriebenen Hyperaktivität, einer so allgemeinen Hektik, dass die Spezies als ganzes einen Punkt erreicht zu haben scheint, wo sie den Widerstand zum Bersten bringen und zu einem neuen Bewusstsein durchbrechen muss oder in einen Abgrund der Finsternis und Trägheit zurückfallen wird. Die Spannung ist so total und verbreitet, dass irgend etwas offensichtlich brechen muss. Es kann so nicht fortbestehen.
Dies kann als sicheres Anzeichen betrachtet werden, dass ein neues Prinzip von Kraft, von Bewusstsein, von Macht in die Materie eingedrungen ist, das durch seinen Druck genau diesen zugespitzten Zustand verursacht. Äußerlich könnte man die alten Mittel der Natur erwarten, wenn sie einen Umbruch erreichen will, doch diesmal hat es eine neue Beschaffenheit, die offensichtlich nur in einer Elite erkenntlich ist, aber selbst diese Elite ist verbreitet genug – es beschränkt sich nicht auf einen Punkt, einen Ort in der Welt, die Anzeichen sind in allen Ländern, auf der ganzen Erde sichtbar: der Wille, eine aufsteigende, neue, höhere Lösung zu finden, eine Bemühung zum Aufbruch in eine weitere, umfassendere Perfektion.
Gewisse Ideen von mehr allgemeiner, verbreiteter, sozusagen kollektiver Natur beginnen in der Welt zu entstehen und zu wirken. Beide Tendenzen gehen Hand in Hand: die Möglichkeit einer größeren und vollständigeren Zerstörung – Erfindungen, die die Möglichkeit der Katastrophe unablässig vergrößern, eine viel massivere Katastrophe, als es je gegeben hat – und zugleich die Geburt oder vielmehr die Verwirklichung von sehr viel höheren und umfassenderen Ideen und Willenskräften, die, wenn sie einmal vernommen werden, eine viel weitreichendere, vollständigere und perfektere Lösung bringen werden als zuvor.
Dieser Kampf, dieser Konflikt zwischen den konstruktiven Kräften der aufsteigenden Evolution, der immer vollkommeneren und göttlicheren Verwirklichung, und den immer zerstörerischeren Kräften – machtvoll zerstörerische Kräfte, deren Wahnsinn sich jeglicher Beherrschung entzieht – wird immer offensichtlicher, deutlicher, sichtlicher, und es ist wie ein Wettlauf oder ein Wettkampf, wer sein Ziel als erster erreicht. Es scheint, als wären alle gegnerischen, anti-göttlichen Kräfte, die Kräfte der vitalen Welt auf die Erde herabgekommen und belegen sie als ihren Handlungsraum, doch als wäre gleichzeitig auch eine noch höhere, mächtigere, neue spirituelle Kraft auf die Erde gekommen, um ihr ein neues Leben zu bringen. Das macht den Kampf schärfer, gewalttätiger, sichtbarer, aber anscheinend auch endgültiger, und deshalb besteht die Hoffnung auf eine baldige Lösung.
Vor noch nicht allzulanger Zeit richtete sich die spirituelle Aspiration des Menschen auf einen schweigenden, inaktiven Frieden, losgelöst von allen weltlichen Dingen, eine Flucht aus dem Leben, gerade um den Kampf zu meiden, um jenseits des Kampfes zu gelangen, sich von der Anstrengung zu befreien; in diesem spirituellen Frieden verschwand mit der Spannung, dem Kampf, der Anstrengung auch das Leiden in all seinen Formen, und das wurde als der wahre, einzige Ausdruck des spirituellen und göttlichen Lebens betrachtet. Das wurde als die göttliche Gnade, die göttliche Hilfe, das göttliche Eingreifen angesehen. Und auch jetzt noch, in dieser Zeit der Ängste, der Spannung, der Überspanntheit, ist dieser erhabene Friede die von allen Hilfen am besten empfangene und willkommenste, die erbetene und erhoffte Linderung. Auch jetzt noch ist er für viele das wahre Zeichen des göttlichen Wirkens, der göttlichen Gnade.
Was immer man auch verwirklichen möchte, es gilt tatsächlich damit anzufangen, diesen vollkommenen, unwandelbaren Frieden zu verwirklichen, das ist die Grundlage, auf der man aufbaut; doch außer wenn es einem um eine ausschließliche, persönliche und egoistische Befreiung geht, kann man dort nicht haltmachen. Es gibt einen weiteren Aspekt der göttlichen Gnade, den Aspekt des Fortschritts, der alle Hindernisse bezwingt, der die Menschheit in eine neue Verwirklichung schnellt, die Tore einer neuen Welt öffnet und bewirkt, dass nicht nur einige Auserwählte die göttliche Verwirklichung genießen, sondern dass ihr Einfluss, ihr Beispiel, ihre Kraft der restlichen Menschheit einen neuen und besseren Zustand bringt.
Dies öffnet Wege der zukünftigen Verwirklichung, bereits vorhergesehene Möglichkeiten, wo ein ganzer Teil der Menschheit, der sich bewusst oder unbewusst dem Einfluss der neuen Kräfte geöffnet hat, in ein höheres, harmonischeres, vollkommeneres Leben erhoben wird ... Wenn eine individuelle Transformation hier nicht immer erlaubt oder möglich ist, wird es eine Erhöhung der Gesamtheit, eine Harmonisierung der Gesamtheit geben, die eine neue Ordnung, eine neue Harmonie herbeiführt, die Ängste des gegenwärtigen Chaos und Kampfes verschwinden lässt und durch eine Ordnung ersetzt, um einen harmonischen Ablauf der Gesamtheit zu ermöglichen.
Andere Konsequenzen werden dazu führen, durch ein entgegengesetztes Mittel all das verschwinden zu lassen, was der Eingriff des Mentals im Leben an Perversion, Hässlichkeit schuf, eine ganze Sammlung von Entstellungen, die das Leiden, das Elend, die moralische Ärmlichkeit verschlimmerten, ein ganzer Bereich von abscheulichem und widerwärtigem Elend, der einen großen Teil des menschlichen Lebens zu etwas so Schrecklichem macht. All das muss verschwinden. Das macht die Menschheit in so vielen Punkten so viel minderwertiger als das Tierleben in seiner Einfachheit und spontanen Natürlichkeit und Harmonie, trotz allem. Das Leiden ist bei den Tieren nie so elend, so abscheulich wie in dem Teil der Menschheit, der durch den Einsatz einer ausschließlich zu egoistischen Zwecken verwendeten Mentalität pervertiert wurde.
Darüber muss man hinaussteigen, in das Licht und die Harmonie vorstoßen, oder sonst zurückfallen in die Einfachheit eines gesunden tierischen Lebens ohne Entstellungen.
(Nach einem Schweigen fügt Mutter hinzu:)
Aber all jene, die nicht erhoben werden können, jene, die den Fortschritt ablehnen, die werden automatisch den Gebrauch des mentalen Bewusstseins verlieren und auf eine vor-menschliche Stufe zurückfallen.
Ich will dir eine Erfahrung erzählen, die dir zum besseren Verständnis helfen wird. Das geschah kurz nach der supramentalen Erfahrung vom 3. Februar und ich befand mich noch in einem Zustand, wo die Dinge der physischen Welt so fern, so absurd erschienen. Eine Gruppe von Touristen hatte gebeten, mich besuchen zu dürfen, und eines Abends kamen sie zum Sportplatz. Sie waren reiche Leute, das heißt, sie besaßen mehr Geld, als sie zum Leben brauchten. Unter ihnen befand sich eine Frau mit einem Sari; sie war sehr dick, und ihr Sari war absichtlich so gelegt, dass er ihren Körper verdeckte. Als sie sich verbeugte, um meinen Segen zu empfangen, verrutschte eine Ecke des Saris und entblößte einen Teil ihres Bauches, einen nackten Bauch. Ein riesiger Bauch. Das gab mir etwas wie einen Schock ... Viele übergewichtige Leute haben überhaupt nichts Abstoßendes, aber hier sah ich plötzlich die Perversion, die Fäulnis, die sich hinter diesem Bauch verbarg, wie ein riesiger Abszeß, der die Gier, die Verdorbenheit, den Verfall des Geschmacks, das abscheuliche Verlangen ausdrückte und sich sättigte, wie kein Tier es täte, in einer groben und vor allem perversen Art. Ich sah die Perversion eines verdorbenen Mentals im Dienst des niedrigsten Hungers. Da stieg plötzlich ein Gebet in mir empor, eine Veda: "O Herr, das ist es, was verschwinden muss!"
Man kann sich gut vorstellen, wie das physische Elend, die ungleiche Verteilung der weltlichen Güter verändert werden könnte, man kann sich ökonomische und soziale Lösungen vorstellen, die dem abhelfen würden, aber dieses mentale Elend, die vitale Perversion, die kann sich nicht ändern, die WILL sich nicht ändern. Jene, die dieser Art Menschheit angehören, sind im voraus zur Auflösung verdammt.
Das ist die Bedeutung der Ursünde: die Perversion, die mit dem Mental begann.
Der Teil der Menschheit, des menschlichen Bewusstseins, der sich mit dem Supramental vereinigen und sich befreien kann, wird vollständig transformiert werden: er wird in eine zukünftige Wirklichkeit voranschreiten, deren äußere Form sich noch nicht ausgedrückt hat; der Teil, welcher der tierischen Einfachheit, der Natur sehr nahe steht, wird wieder in die Natur eingehen und direkt aufgenommen werden. Aber dieser korrumpierte Teil des menschlichen Bewusstseins, der durch seinen Missbrauch des Mentals die Perversion zulässt, wird aufgelöst werden.
Diese Art Menschheit ist Teil eines misslungenen Versuchs – der abgebrochen wird. So wie bestimmte fruchtlose Arten im Laufe der universellen Geschichte verschwanden.
Manche Propheten des Altertums hatten diese apokalyptischen Visionen, aber wie meistens wurden die Dinge durcheinander gebracht und sie hatten ihre Visionen der Apokalypse, ohne zugleich die Vision der supramentalen Welt zu haben, die den einwilligenden Teil der Menschheit erheben und die physische Welt verwandeln wird. Dann, um denjenigen, die innerhalb dieses perversen Teils des menschlichen Bewusstseins geboren werden, eine Hoffnung zu vermitteln, lehrten sie die Erlösung durch den Glauben: jene, die an das Opfer des Göttlichen in der Materie glauben, werden automatisch erlöst, in einer anderen Welt – allein der Glaube, ohne Verständnis, ohne Intelligenz. Sie sahen nicht die supramentale Welt, und sie sahen nicht, dass das Große Opfer des Göttlichen in der Materie die Involution ist, die zur vollständigen Offenbarung des Göttlichen in der Materie selbst führen muss."
Persönliche Erfahrungen
Man muss vorausschicken: Letztendlich sind alle höllenartigen Erfahrungen Zeichen des Widerstands gegen die Arbeit des Supramentalen Macht und haben weder mit grundsätzlichem Unvermögen, noch mit Schuld zu tun. Besäße man in den Augen des Göttlichen Bewusstseins nicht die Kraft, sie zu überwinden, wäre man für diesen Weg nicht auserwählt worden. Wenngleich dies wiederum keine verbindliche Zusage bedeutet, den Weg ohne Scheitern bis zum Ende durchzuhalten.
Mutter sagte, die Supramentale Transformation sei der einzige Weg heraus aus dem Leid, in dem die Menschen heute leben. Ist man dazu berufen, wird man jahrelang immer wieder mit genau dem konfrontiert, was sie als "Jüngstes Gericht" bezeichnete. Nicht selten hadert man dabei gewaltig mit dem Aphorismus Sri Aurobindos, die Christen seien ins Leid verliebt. Wenn diese zermalmende Kraft sich unerbittlich auf unsere kleine Person konzentriert, ist es eine gewaltige Herausforderung, den größeren Zusammenhang anzuerkennen, den er damit meinte.
Das Agni, dass sich mit sanfter, aber stetiger Gewalt wie Lava durch den Körper wälzt und sich über die Fußsohlen bis hinein in die Tiefen der globalen Materie bohrt, vermittelt regelmäßig den Eindruck eines Fegefeuers. Man erfährt sich in dem Bedürfnis nach Linderung bei winterlichen Minusgraden leichtbekleidet auf den Balkon stürzend, unter der nichts verbrennenden Gluthitze ausharrend, bis der Ansturm abebbt. Und man wundert sich, dass man sich beim Betrachten in der Fensterscheibe nicht als hell erleuchtete, brennende Fackel wahrnimmt. Der Ventilator wird jahrelang der beste Freund.
Was dadurch aus den globalen unbewussten und unterbewussten Bereichen angelöst wird und in den Körper und unser Tagesbewusstsein hochsteigt, ist für die Psyche wahrlich höllenhaft. Manchmal nur für Stunden, manchmal tagelang. Der Körper windet und verkrampft sich entsprechend. Wenn es einem nicht gelingt, nachzugeben, können daraus durchaus Schäden resultieren, welche die Seele für den zu erringenden Sieg in Kauf nimmt. Während der Körper ächzt unter der psychischen und physischen Last und nicht selten von Heulkrämpfen geschüttelt wird.
Begleitet werden diese Phasen von immer wiederkehrenden verbalen Auswürfen, die sich regelrecht aufdrängen, in nahezu identischem Wortlaut. Gleich einem grausamen Mantra, dem man nicht ausweichen kann, weil die Kraft dazu noch nicht ausreicht. Sie lassen auf das individuelle Thema schließen, das wir zu bearbeiten haben, und dessen Schwingungen in der globalen Materie zu uns in Resonanz gehen und die Heftigkeit verstärken. Wie schon erwähnt, macht man diesen Yoga nicht für sich allein, sondern erlöst ein ganzes Bündel aus dem irdischen Ganzen mit. Entsprechend schälen sich Körperbereiche heraus, die dieser Thematik zuzuordnen sind: Seien es die Knie, ein bestimmter Bereich der Wirbelsäule, ein hartnäckiges "chronisches" Leiden oder bestimmte Zähne. Laut Mutter lässt unsere größte Schwäche auf genau jene Stärke schließen, die wir zu verwirklichen haben. Und irgendwie verstehen wir plötzlich, dass wir das schon immer geahnt haben.
In diesen Zeiten fühlt man sich an die Worte Sri Aurobindos erinnert, die er im Gesetz des Weges beschreibt:
"Jeder Schritt voran ist eine Schlacht. Es gibt schroffe Abstiege, es gibt nicht enden wollende Aufstiege, und es gilt immer höhere Gipfel zu erobern. Jede erklommene Ebene ist nur eine Etappe auf dem Weg und offenbart endlose Höhen darüber. Jeder Sieg, den du für den endgültigen Triumph deines Kampfes hältst, erweist sich als das Vorspiel zu hundert hitzigen und gefahrvollen Schlachten .... Du aber sagst, Gottes Hand werde dich führen und nah sein die göttliche Mutter mit ihrem hilfreichen und barmherzigen Lächeln? Und du weißt nicht, dass Gottes Gnade weit schwerer zu gewinnen und zu bewahren ist als der Nektar der Unsterblichen oder Kuveras unermessliche Schätze? Frage seine Auserwählten, und sie werden dir sagen, wie oft der Ewige sein Antlitz vor ihnen verbarg, wie oft er sich ihnen entzog hinter seinem geheimnisvollen Schleier und wie sie sich allein in den Klauen der Hölle fanden, einsam im Schrecken der Finsternis, nackt und schutzlos in der Bedrängnis der Schlacht.
Und wenn seine Gegenwart hinter dem Sehleier fühlbar ist, so ist sie doch wie die Wintersonne hinter Wolken und schützt nicht vor Regen und Schnee und dem verheerenden Sturm und dem rauen Wind und der bitteren Kälte und dem Grau einer düsteren Atmosphäre oder bleiernen Eintönigkeit. Zweifellos ist die Hilfe selbst dann vorhanden, wenn sie sich zurückgezogen zu haben scheint. Aber trotzdem gibt es den Anschein völliger Nacht ohne eine Sonne, die aufgehen wird, und ohne einen Stern der Hoffnung, der die Schwärze durchdringt.
Wunderschön ist das Gesicht der Göttlichen Mutter, doch auch sie kann hart und furchterregend sein.
Ist denn die Unsterblichkeit ein Spielzeug. das man leichthin einem Kind schenkt, oder das göttliche Leben ein mühelos zu erringender Preis oder die Krone für einen Schwächling? Bemühe dich recht, und du wirst erlangen; vertraue, und dein Vertrauen wird am Ende gerechtfertigt sein. Doch das furchtbare Gesetz des Weges besteht, und keiner kann es aufheben."
Auch Mutter geriet in ihrem Ringen, für uns alle den Durchgang zu erschaffen, immer wieder in Bedrängnis:
"Ich scheine alle Widerstände der Welt zu vereinen ... Einer nach dem anderen kommen sie, und wäre ich nicht ... Wenn ich auch nur eine Minute lang nicht das Göttliche anrufe und in mir fühle, empfinde ich einen solch unerträglichen Schmerz, mein Kind! Inzwischen zögere ich sogar, den Leuten von "Transformation" zu erzählen, denn wenn dies das Resultat ist, dann muss man wirklich ein Held sein ... Etwas im Körper möchte ununterbrochen aufschreien."
(Agenda, 7. April 1973)
Sie betonte in ihrem unendlichen Mitgefühl, wie sehr sie es bedaure, den Menschen dieses Leid nicht abnehmen zu können.
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Während der eigenen Läuterungsschübe erhob sich im Laufe des Yoga ein Phänomen, das im ersten Moment nicht verstanden wurde und lange immer wieder an derselben Stelle zu einer Trotzreaktion führte: "Etwas" im Inneren lächelte, während alle Widerstände in Körper und Psyche tobten und an ihrem Drama festhielten.
Hätte man zu diesem Zeitpunkt sich der lächelnden Macht im Inneren ergeben, wäre der Spuk jedes Mal schnell vorbei gewesen. Tatsächlich war diese Hingabe des vitalen und körperlichen Systems erst zu einem späteren Zeitpunkt möglich: Als sich die Widerstände durch die wiederkehrenden Runden ausgiebig erschöpft hatten und die Heftigkeit der Läuterungen abnahm. Es ist richtig, was viele andere Mystiker über unser Ego sagten, und es trifft auch auf das Körperego zu: Wir sind verliebt in unser Leid. (Was nicht weiter verwundert, da die Opferrolle in unserer Gesellschaft seit Jahrhunderten absichtlich zu Kontrollzwecken bedient wurde und man uns durch alle Instanzen die Zerbrechlichkeit und Unwürdigkeit der menschlichen Rasse einhämmerte.)
Der folgende Aphorismus von Sri Aurobindo füllte sich daraufhin mit Leben, denn seine Worte wurden genau so erfahren:
Ich hasste den Teufel und ärgerte mich über seine Versuchungen und Quälereien; und ich konnte nicht sagen, warum seine Stimme bei den Abschiedsworten so süß war, dass ich ihn nur ungern zurückwies, wenn er jeweils wiederkehrte und sich mir anbot. Dann entdeckte ich, dass es Krishna bei Seinen Streichen war, und mein Hass wandelte sich in Lachen.
Die herausforderndsten Zustände verlaufen zum Glück in rhythmischen Schüben, sind zeitlich begrenzt und ziehen sich im Laufe der Jahre immer mehr in begrenzte, äußere Areale zurück. Anders würde kein Mensch das aushalten, ohne entweder verrückt zu werden oder sich freiwillig zu entkörpern. Sind die schmerzhaften Phasen jeweils vorbei, erkennt man, dass es tatsächlich ein Bann war, der über den Körperzellen lag, denn wir sind nicht daran gestorben. Wenngleich es sich fast so anfühlte, denn es ist tatsächlich die Formation des Todes und des ganzen Leids, das sich davon ableitet, denen man hier entgegentreten muss.
Dass man irgendwann den Impuls verspürt, sich von der Außenwelt zurückzuziehen, um sich dieser Schlacht zu widmen, ist der zunehmenden Durchlässigkeit und Empfindlichkeit des Körpers geschuldet und nötig. Es dauert lange, bis man tatsächlich erkennt, dass das Bewusstsein sich auf die ganze Welt ausgeweitet hat: Die negative Botschaft eines noch nicht angekommenen Briefes wirft bereits Stunden zuvor seine Schatten voraus und äußert sich in Übelkeit, Befürchtungen oder ärgerlicher Verstimmung.
Dasselbe gilt für größere globale Ereignisse oder Mitmenschen, deren Energiefeld aus irgendeinem Grund im eigenen negative Empfindungen auslöst. Die Entfernung spielt dabei keine Rolle.
Das Wartezimmer beim Zahnarzt entwickelt sich zu einer Oase der diffusen Ängste, die weit über die eigenen hinausgehen, da man empathisch alle anderen empfängt. Sowohl die der Mitpatienten, als auch die ängstlichen Formationen, die bereits in diesem Raum hinterlassen wurden.
Der Intellekt ist kaum in der Lage, an diesen Abläufen etwas zu ändern, denn es ist das Bewusstsein der Körperzellen selbst, das hier autonom reagiert und lernen muss, nur noch dem Göttlichen zu gehorchen.
Vielleicht vermögen die Worte der Mutter aus der Schrift "Die Höchste Entdeckung" ein Trost sein für alle, die ernsthaft auf dem Weg sind:
"... Die ihr müde und geschwächt und niedergeschlagen seid, die ihr fallt und euch vielleicht für besiegt haltet, vernehmt die Stimme eines Freundes — er kennt eure Sorgen, er hat sie geteilt; er hat wie ihr an den Übeln der Erde gelitten, hat wie ihr unter des Tages Last Wüsten durchquert, Hunger und Durst, Einsamkeit und Verlassenheit gekannt und, am grausamsten von allem, die bittere Not des Herzens. Ach, auch Stunden des Zweifels hat er gekannt, hat Irrtum, Misslingen, Versagen und alle Schwächen erfahren.
Aber er sagt euch: Mut! Vernehmt die Lehre, die die aufgehende Sonne mit ihren ersten Strahlen allmorgendlich der Erde bringt. Es ist eine Lehre der Hoffnung, eine Botschaft des Trostes.
Die ihr weint, die ihr leidet, die ihr zittert und nicht wagt, das Ende eures Elends, den Ausgang eurer Leiden abzusehen, merkt auf: Es gibt keine Nacht ohne Tagesanbruch, und wenn die Finsternis am dichtesten ist, steht die Morgendämmerung bevor; keinen Nebel gibt es, den die Sonne nicht zerteilt, keine Wolke, die sie nicht vergoldet, keine Tränen, die sie nicht eines Tages trocknet, keinen Sturm, nach dem nicht ihr Triumphbogen leuchtet, keinen Schnee, den sie nicht schmilzt, keinen Winter, den sie nicht in strahlenden Frühling verwandelt.
Und auch für euch gibt es keinen Kummer, der nicht sein Maß an Glück hervorbringt, keine Niedergeschlagenheit, die sich nicht in Freude verwandeln mag, keine Niederlage, die nicht in einen Sieg, keinen Fall, der nicht in einen Aufstieg zu größeren Höhen sich wenden läßt, keine Einsamkeit, die nicht zum vollsten Leben werden kann, keinen Missklang, der nicht in Harmonie aufzulösen ist. Manchmal bringt gerade ein Missverständnis zweier Geister ihre Herzen dazu, sich einander in tiefer Übereinstimmung zu öffnen. Kurz: keine Schwäche ist so grenzenlos, dass sie sich nicht in Kraft umsetzen könnte. Ja, der Allmacht gefällt es sogar, sich in der allergrößten Schwachheit zu offenbaren! Höre, mein kleines Kind, das du dir so gebrochen, so gefallen vorkommst und nichts, gar nichts mehr hast, um dein Elend zu verdecken und deinen Stolz zu nähren — niemals zuvor bist du so groß gewesen! Wie nahe ist den Gipfeln, wer in den Tiefen erwacht: je tiefer der Abgrund, desto mehr enthüllen sich auch die Höhen. ..."
Je größer die Zerstörung, desto freier die Gelegenheiten zum Schaffen; doch schleppt die Zerstörung sich oft lange und bedrückend hin, und die Schöpfung säumt oder wird in ihrem Triumph unterbrochen. Immer wieder kehrt die Nacht zurück und der Tag stockt oder scheint sogar ein trügerischer Anbruch gewesen zu sein. Verzweifle deswegen nicht, sondern wache und wirke. Wer ungestüm hofft, verzagt schnell: Hoffe weder noch fürchte, sondern sei dir Gottes Absicht und deines Willens, zu vollbringen, gewiss.
Sri Aurobindo
Truth must conquer and dominate falsehood
Mudra der Mutter
Warum hämmert Gott so grimmig auf seiner Welt herum, tritt und knetet sie wie Teig, wirft sie so oft in das Blutbad und die rote Höllenhitze des Schmelzofens? Weil die Menschheit in ihrer Masse immer noch ein hartes, grobes oder gemeines Erz ist, das sich anders nicht schmelzen und formen lässt; wie das Material, so die Methode. Möge es mithelfen, sich in ein edleres und reineres Metall zu verwandeln, und Gott wird mit ihm sanfter und angenehmer verfahren, es viel reiner und schöner verwenden.
Warum er solches Material wählte oder schuf, wo er doch aus der ganzen unendlichen Möglichkeit wählen konnte? Weil seine göttliche Idee nicht nur Schönheit, Süße und Reinheit vor sich sah, sondern auch Kraft, Willen und Größe. Verachte die Kraft nicht, noch hasse sie wegen der Hässlichkeit einiger ihrer Gesichter, noch wähne, einzig Liebe sei Gott. Alle vollendete Vollkommenheit muss etwas vom Helden und sogar vom Titanen in sich haben. Die größte Kraft aber wird aus der größten Schwierigkeit geboren.
Wo immer du ein großes Ende siehst, darfst du eines großen Anfangs sicher sein. Entsetzt eine ungeheure, schmerzvolle Zerstörung dein Mental, so tröste es mit der Gewissheit einer großen und weiten Schöpfung. Gott ist nicht nur in der leisen, ruhigen Stimme, sondern auch im Feuer und im Wirbelsturm.
Sri Aurobindo