Der Widerstand

 

 

Das Ende eines Stadiums der Evolution wird gewöhnlich durch ein mächtiges Wiederaufleben von all dem gekennzeichnet,

was aus der Evolution auszuscheiden hat.

 

Sri Aurobindo, 18. September 1909 

 

 

"Sobald man diesen Weg beschreitet, hat man die ganze Welt gegen sich", stellte Mutter fest.

Sri Aurobindo rief in seinem vorbereitenden Ringen für die Menschheit aus: "Das ist ein Kampf gegen die gesamte irdische Natur!"

Gleichzeitig ist ebenso wahr, dass das göttliche Bewusstsein den aufrichtigen Sucher durch alle Schlachten hindurchführt, wenn die absolute Hingabe an seine mächtige Führung gelingt: „Wenn du in dir ein seelisches Wesen hast, das hinreichend erweckt ist, um über dich zu wachen und deinen Pfad vorzubereiten, vermag es Dinge anzuziehen, Menschen, Bücher, Umstände, alle Arten von kleinen Zufälligkeiten, die zu dir kommen wie durch einen gütigen Willen herbeigeführt, und dir einen Hinweis geben, eine Hilfe, eine Unterstützung, um eine Entscheidung zu treffen und dich in die richtige Richtung zu wenden. Und wenn du einmal eine Entscheidung getroffen hast, wenn du dich einmal entschlossen hast, die Wahrheit deines Wesens zu finden, wenn du dich einmal aufrichtig auf den Weg machst, dann scheint sich alles zu deinem Fortschritt zu verschwören.“ (Die Mutter)

 

Der Widerstand erhebt sich nicht nur von asurischer Seite. Die irdische Materie ist im Laufe von Jahrmillionen entstanden, wurde verfeinert und komplexer und entwickelte dabei ihre eigenen, hartnäckigen Naturgesetze. In jeder Inkarnation wurden wir in diese erneut hineingeboren und alle Lebenseindrücke haben sich unbemerkt über das ursprüngliche Bewusstsein der Körperzellen gelegt. Wir haben unser Denken und Handeln darauf aufgebaut.

So schrieben wir beispielsweise zufällig wiederkehrende Körperreaktionen im Lauf der Zeit als allgemeingültig fest und versahen sie mit dem Etikett "Krankheit xy", als wären sie eine unverrückbare Tatsache. Anstatt sie als vorübergehendes Ungleichgewicht im System zu betrachten.

Wir kippten aus der Bewusstseinseinheit mit anderen Wesen heraus, die bis ins Pflanzen- und Tierreich gegeben war, und erfahren uns heute als getrennt. Das Gegenüber wurde immer mehr zum Konkurrenten um die Quelle des Glücks, weil wir unsere eigene im Inneren nicht mehr spüren. Zu sehr waren wir im Außen damit beschäftigt, ums (Über-)Leben zu kämpfen, besser, stärker und attraktiver zu werden als andere. Der göttliche Funke in uns wurde überlagert vom heute bestimmenden Intellekt, der analysiert, beurteilt, schlussfolgert, in kleine Stückchen zerteilt und aussortiert innerhalb seiner begrenzten Wahrnehmung. All das war eine Notwendigkeit der Evolution.

 

Im Urgrund der Materie schlummern die wenig schönen Anteile des Unbewussten und Unterbewussten, es ist der Herrschaftsbereich der Falschheit und des Todes. Wir standen mit diesen Bereichen immer in Verbindung auf unserem langen Weg der Evolution. Denn unsere Körper wurden immer wieder aus dem Stoff der irdischen Materie gebildet und mussten sich diesen scheinbar unverrückbaren Naturgesetzen unterwerfen. Diese defätistischen, unterbewussten Formationen abzustreifen, gleicht einer Schlacht, denn sie sind dort regelrecht verwurzelt. Sie ziehen sich wie Netze durch das gesamte irdische System und wurden noch nie bereinigt. Das findet jetzt das erste Mal statt.

Sie  beeinflussen bis heute unmerklich unsere Glaubensmuster, unsere Interaktionen mit anderen und unsere körperlichen Reaktionen mit all seinen Bedürfnissen, Süchten und hartnäckigen Gewohnheiten.  

 

Vieles, von dem wir glauben, es schlummere in uns selbst, tritt als universale vitale Bewegung, entsprechend unserer Unbewusstheit und mehr oder weniger unbemerkt, von außen in uns ein, erfasst unser Tagesbewusstsein und wird so zu "mein", weil etwas in unserer Wesensart in Resonanz damit geht. All unsere negativen Emotionen wie Wut, Angst, Argwohn, Neid, Missgunst u.a.m. werden davon gespeist. In ihrer perversesten Ausprägung manifestierten sie sich bislang in Form von Gräueltaten in dieser Welt. Im schlimmsten Fall wird dabei das seelische Wesen in den Hintergrund gedrängt, was wir dann Besessenheit durch niedere Wesen nennen. Der einzige Schutz ist die Hingabe an die göttliche Führung. 

 

Das neue auf diesem Weg ist die Vergöttlichung des Körpers, und zugleich das Schwierigste. Denn in diesem Spannungsfeld schreitet, stolpert, kriecht man zuweilen auf allen vieren vorwärts und steht erstaunt wieder auf, wenn man zu Fall gebracht wurde. War alles nur ein Spuk? Sprach Sri Aurobindo deshalb von einem "Bann", der über den Körperzellen liegt? Sind wir es nicht gewöhnt, nach einer derartigen Achterbahn an Emotionen und körperlichen Missempfindungen dahinzusiechen und zu sterben ...?

Es dauert eine gewisse Zeit, bis man, oder besser der Körper selbst, durch das gelebte Wissen erkennt, dass das göttliche Bewusstsein mächtiger ist als alles Widerstrebende, als alle Naturgesetze dieser Erde und alle vitalen Angriffe der widergöttlichen Mächte. Denn letztendlich ist es die Transformation des Körpers, die den Unterschied ausmachen wird gegenüber allen bisher beschrittenen spirituellen Wegen und die Manifestation einer Neuen Erde ermöglicht. Dann werden alle `feindlichen´ Mächte nicht mehr erforderlich sein.

Bis dahin wachsen wir an ihren Widerständen. 

 

 


  Eines scheint offensichtlich: die Menschheit hat einen bestimmten Zustand allgemeiner Spannung erreicht – Spannung der Anstrengung, Spannung der Handlung, sogar Spannung des täglichen Lebens –, mit einer derart übertriebenen Hyperaktivität, einer so allgemeinen Hektik, daß die Spezies als ganzes einen Punkt erreicht zu haben scheint, wo sie den Widerstand zum Bersten bringen und zu einem neuen Bewusstsein durchbrechen muss oder in einen Abgrund der Finsternis und Trägheit zurückfallen wird.

  Die Spannung ist so total und verbreitet, dass irgendetwas offensichtlich brechen muss. Es kann so nicht fortbestehen. Dies kann als sicheres Anzeichen betrachtet werden, dass ein neues Prinzip von Kraft, von Bewusstsein, von Macht in die Materie eingedrungen ist, das durch seinen Druck genau diesen zugespitzten Zustand verursacht.

  Äußerlich könnte man die alten Mittel der Natur erwarten, wenn sie einen Umbruch erreichen will, doch diesmal hat es eine neue Beschaffenheit, die offensichtlich nur in einer Elite erkenntlich ist, aber selbst diese Elite ist verbreitet genug – es beschränkt sich nicht auf einen Punkt, einen Ort in der Welt, die Anzeichen sind in allen Ländern, auf der ganzen Erde sichtbar: der Wille, eine aufsteigende, neue, höhere Lösung zu finden, eine Bemühung zum Aufbruch in eine weitere, umfassendere Perfektion.

 

Die Mutter, Juni 1958

 

 


6. April 2018/ überarbeitet 21. April 2020/Juli 2022