Sexualität und vitaler Austausch

 

 

Diese Gewohnheiten des physischen Vitals sind beinahe automatisch in ihrem Wirken und es bedarf entweder eines sehr starken Willens oder einer beharrlichen Bemühung der Selbst-Disziplin, um dieses automatische, beinahe reflektive Wirken loszuwerden. Du solltest dich daher durch die Schwierigkeit nicht entmutigen lassen, sondern mit der notwendigen Beharrlichkeit des Willens weitermachen, um sie aus dem Dasein zu drängen.

 

Sri Aurobindo

 

Folgende Unterhaltung ist Teil einer jahrelangen Korrespondenz Sri Aurobindos mit dem Arzt Nirodbaran Chakravarty, einem der ältesten Mitglieder des Ashrams.

Sri Aurobindo hatte sich zu dieser Zeit bereits aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen und seine äußere Kommunikation mit den Schülern auf Briefwechsel reduziert. Sie gibt unter anderem einen Blick auf seine humorvolle Seite frei.

(Mit "lebentlich" ist im Text "vital" gemeint.)

 

 

N: Es scheint, Frauen haben im Joga den Vorteil, dass in ihnen der Geschlechtstrieb nicht so stark ist wie in Männern.

 

Sri Aurobindo: Es gibt da kein allgemeines Gesetz. Frauen können ebenso geschlechtlich sein wie Männer, oder noch mehr. Aber es gibt zahlreiche Frauen, doch nur wenige Männer, die das Geschlechtliche nicht mögen. Nur ein Sukhdew* in einer Million, dagegen viele Dianas und Pallas Athenes. Die Jungfrau ist im Grunde eine weibliche Vorstellung; Männer stößt die Idee ewiger Jungfräulichkeit ab. Bei vielen Frauen bliebe der Geschlechtstrieb unerwacht, wenn er ihnen nicht aufgedrängt würde, was sich nicht von vielen Männer sagen lässt, vielleicht von keinem.

Aber die Sache hat noch eine andere Seite. Frauen sind vielleicht im Großen und Ganzen weniger physisch geschlechtlich als Männer – doch wie steht es mit lebentlicher Geschlechtlichkeit? Dem Trieb, zu besitzen und besessen zu werden usw.?

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*Sudhdew war berühmt für seine Reinheit. Sogar die Apsaras (Himmelstänzerinnen) brauchten sich in seiner Gegenwart nicht zu bedecken.

 

 

Wie kommt es, dass Ramakrishna seine Jünger stets aufforderte, Weib und Geld zu vermeiden? Buddha war nicht weniger streng.

 

Das ist die alte mönchische Vorstellung. Sie rührt von der übermäßigen Geschlechtlichkeit der Männer her. Sie sehen in der Frau das Tor zur Hölle, weil in ihnen selber das Tor so weit offen steht. Aber sie schieben die Schuld lieber den Frauen zu.

 

War der Verlust des Paradieses nicht den Frauen zu verdanken?

 

Das war nicht dem Geschlechtlichen zu verdanken, sondern dem Drang der Frau nach neuer Erfahrung und Erkenntnis.

 ...

 

Sie [die Frauen] leben mehr im Lebentlichen, so haben sie vermutlich weniger Schwierigkeiten in der Sadhana?

 

Keineswegs. Wie soll im Lebentlichen zu leben die Dinge leichter machen? Das Lebentliche ist die Hauptursache der Schwierigkeiten im Yoga. Die Schwierigkeit bei Männern ist nicht rein geistig, sondern ebenfalls lebentlich – nur rufen Männer ihren Verstand, um ihr Lebentliches gegen das Kommen und die Berührung oder den Druck des Göttlichen zu verteidigen, während Frauen zum selben Zweck ihren lebentlichen Geist rufen.

 

 

Ist es nicht tatsächlich so, dass man Frauen gern vorwirft, sie würden in Diskussionen emotional werden, während Männer eher sachlich trocken argumentieren?

Ausnahmen bestätigen die Regel.

 

 

Das Geschlechtliche überwinden

 

Mich plagen oft geschlechtliche Gedanken. Wie kann ich sie loswerden?

 

Zuviel an Geschlechtliches zu denken, selbst um es zu unterdrücken, macht es schlimmer. Du musst dich mehr für bejahende Erfahrung öffnen. Die ganze Zeit mit dem untern Lebentlichen zu ringen ist ein sehr langwieriges Verfahren.

 

Wie kann ich mich bejahender Erfahrung öffnen?

 

Indem du ruhig bleibst und mit Sehnsucht danach aufstrebst – wissend, dass es oben wartet. Denke auch mehr an die Mutter und weniger an deine lebentlichen Regungen.

 

*

 

Ich finde, ich bin nur ein Bündel von Sex und sonst nichts! Das ist die jogische Umwandlung?

 

Niemand kann nur ein Bündel von Sex sein – nicht einmal ein Kater oder ein Casanova! Es ist der Ureinwohner, der hochkommt und so auftritt, als wäre er der ganze Mensch. Doch sind da noch andere Bündel, auch wenn dieses im Augenblick obenauf ist.

 

Wie schon an anderer Stelle erwähnt, ist es eine allgemeine Erfahrung in diesem Yoga, dass sich augenblicklich alle niederen Kräfte des Vitals erheben und aufbäumen, sobald man den Pfad aufrichtig betritt. Das ist kein Zeichen dafür, besonders belastet oder ungeeignet zu sein, sondern unser aller menschliches evolutionäres Erbe nebst der in Resonanz gehenden globalen Schwingungen und der widergöttlichen Kräfte, die sich auf einen Schlag dagegen aufbäumen. Sie werden von einer neuen Art Spezies "bedroht", die sie nicht mehr kontrollieren können, weil sie ihr überlegen ist.

 

„Die Sex- und anderen niederen Kräfte greifen an, um es der Göttlichen Kraft zu verunmöglichen, ihre Arbeit zu tun – um das Übergeistige nicht herabkommen zu lassen. Sie hoffen, es ganz und gar zu verhindern, oder, falls es durch irgendein Wunder doch herabkommt, seine Ausbreitung einzuschränken und eine mehr als vereinzelte Vollbringung aufzuhalten.“ (Sri Aurobindo, a.a.O.)

 

An anderer Stelle führte Sri Aurobindo aus: „Der Unterschied zwischen Unterdrückung und Selbstkontrolle besteht darin, dass man in dem einen Fall sagt: `Ich kann nicht umhin, ein Verlangen zu haben, will es aber nicht befriedigen´, während man im anderen Falle sagt: `Ich weise sowohl das Verlangen als auch die Befriedigung des Verlangens zurück´.“ (Briefe über den Yoga)

 

Sri Aurobindo spricht häufig davon, vitale Regungen vollkommen aus dem System hinauszuwerfen, sich davon komplett zu lösen. Dem liegt die Erkenntnis zugrunde:

Womit ich mich gedanklich beschäftige, das verstärke ich.

Eine gute Möglichkeit ist es, alles zu meiden, was ein Verlangen herbeiführen oder verstärken könnte, denn alle Dinge tragen ihr eigenes Bewusstsein in sich:

Die globale Aufrüstung ist deshalb so gefährlich, weil das ganze Waffenarsenal sein eigenes Bewusstsein in sich trägt und danach drängt, auch benutzt zu werden.

Hat man ein Problem mit Alkohol, stellt man fest, dass die Flasche Bier im Kühlschrank solange "trink mich" rufen wird, bis sie weg ist. Ist kein Bier mehr da, wird es irgendwann vergessen – wenn man das wirklich will.

Dasselbe gilt für Süßigkeiten oder übermäßiges Essen. U.v.m.

Sehe ich mir entsprechende Filme oder Magazine an, besuche gewisse Veranstaltungen, pflege Gesprächsthemen, die sich um Beziehungen oder sexuelle Themen drehen, und sei es nur, darüber zu diskutieren, wie ich die Probleme in den Griff bekomme, werde ich es immer wieder verstärken und am Laufen halten.

Diese vitalen Regungen erheben sich oft genug von selbst; haben wir sie im Wachzustand gemeistert, bedrängen sie uns im Schlaf. So lange die geringste Schwingung in uns vorhanden ist, die sie durch die Hintertür wieder hereinschlüpfen zu lassen.

 

Anhand der Unterhaltung zwischen Sri Aurobindo und Nirodbaran werden wieder die beiden Aspekte der mentalen Verstärkung und des aufrichtigen Willens deutlich.

Man muss sich innerlich "umdrehen", all das hinter sich lassen und in die andere Richtung gehen: den Blick auf das Göttliche gerichtet.

Bedenkt man die romatische Vorstellung, die wir für gewöhnlich mit sexueller Zweisamkeit verbinden und vergleicht sie mit der höheren Realität, wie Sri Aurobindo sie beschreibt, mag das für manche sehr ernüchternd sein. Für die Sadhana jedoch ist es von Vorteil, sich folgende Worte bewusst zu machen:  

 

Alle Bewegungen sind im großen und ganzen Bewegungen der kosmischen Kräfte der Natur – sie sind Bewegungen der universalen Natur. Das Einzelwesen empfängt einen Teil davon, eine Woge oder den Druck einer kosmischen Kraft, und wird von ihm angetrieben; es hält diese für etwas Eigenes, das gesondert in ihm erzeugt wurde; das aber ist nicht der Fall; es ist Teil einer allgemeinen Bewegung, die auf die genau gleiche Weise auch in anderen wirkt.
Die Sex-Triebkraft zum Beispiel ist eine Bewegung der allgemeinen Natur, die ihr Spiel sucht und diesen und jenen dafür gebraucht – ein Mann, der vital oder physisch in eine Frau verliebt ist, wie man das so bezeichnet, wiederholt und befriedigt nur die Weltbewegung des Sex; wenn nicht bei dieser Frau, dann bei anderen; er ist nichts anderes als ein Instrument im Mechanismus der Natur, und es ist keine unabhängige Bewegung [die in ihm wirkt].
Genauso ist es mit Ärger und anderen Triebkräften der Natur."

 Sri Aurobindo

 

 

Über die Rolle der Frau

 

Folgende amüsante Debatte entspann sich zwischen Norodbaran und Sri Aurobindo:

 

N: Ein bekannter Mediziner schreibt, dass Frauen in Griechenland und Rom große Freiheit und gute Ausbildung genossen und dennoch nichts Hervorrragendes geschaffen haben.

 

Sri Aurobindo: In Griechenland waren Frauen Haussklavinnen – außer den Hetären, die nur ausgebildet wurden, um zu gefallen. In Rom war "sie blieb daheim und spann Wolle" das höchste Lob für eine Frau. Nur für kurze Zeit begann die Frau im Imperium freier zu werden, wurde jedoch nie dem Mann gleichgestellt. Dein Mediziner war entweder ein Ignorant oder ein Angeber.

 

In der Malerei, Musik, Literatur, Medizin usw. habe es keine Frauen ersten Ranges gegeben.

 

Was für eine Beweisführung – hergeleitet von außergewöhnlichen Bedingungen anstatt von den Gewohnheiten der Jahrtausende! Und was ist mit Verwaltung, Herrschaft und Gewerbe, wo Frauen sich als ebenso fähig erwiesen haben wie die Männer, ja als durchgängiger fähig als sie? Brauchen diese Dinge keinen Verstand? Ist jeder Tölpel dazu imstande?

 

Du wirst zugeben, dass dies die allgemein herrschende Meinung ist.

 

Die herrschende männliche Meinung – vielleicht.

 

Natürlich ist unbestreitbar, dass sie in mancher Hinsicht Engel sind – besänftigend, tröstend, lindernd, erfreuend.

 

Das ist es eben, was die Männer hauptsächlich verlangt haben, ihre Bediensteten zu sein, ihre Pflegerinnen, Köchinnen, Kindergebärerinnen und -erzieherinnen sowie ihre Begierdenerfüllerinnen. Das ist ihr Beruf und Zweck im Leben gewesen, und ihre Natur hat sich ihrer Arbeit angepasst. Was sie sonst noch erreicht haben, war alles nebenbei – trotz des ihnen auferlegten Jochs. Und dann setzt der Mann sein überlegenes Lächeln auf und sagt, das habe alles an der minderwertigen Natur der Frau gelegen, nicht an der ihr aufgehalsten Bürde.

 

Jedenfalls können Frauen sich aus Liebe leichter bescheiden.

 

Darauf sind sie durch die Zeiten eingeübt worden – das ist der Grund. Unterwerfung, Zurückhaltung, dem Mann ausgeliefert zu sein war ihr Los – das gab ihnen diese Schulung. Aber es hat ihnen eine andere Art Ego angedeihen lassen, das ihr spirtliches Hindernis ist – das hinter dem abhimāna [verletzter Stolz und Hochmut] und den Hungerstreiks stehende Ego.

 

Kann man nicht sagen, dass ihr Leben einfacher ist, weil sie mehr im Herzen als im Kopf leben?

 

All diese klar umrissenen Behauptungen sind geistige Aussagen, und sie sind, wie Philosophie und Wissenschaft allmählich entdecken, zu scharfkantig, um wahr zu sein. Leben und Sein sind zu vielschichtig dafür.

 

 

 

Ehe, vitaler Austausch und Sadhana

 

Auf das „Rätsel“ der Eheschließung von Buddha und Konfuzius angesprochen, erhielt Norodbaran von Sri Aurobindo folgende Antwort:

 

  „… wieso ein Rätsel? Meinst du, Buddha, Konfuzius oder ich seien mit der Vorausschau geboren worden, dass sie oder ich das spirtliche Leben aufnehmen würden? Solange man sich im gewöhnlichen Leben befindet, lebt man das gewöhnliche Leben, und wenn das Erwachen und das neue Bewusstsein kommen, lässt man jenes hinter sich – nichts rätselhaftes dabei.“

 

Wenn das Seelische die Führung übernommen hat, kann es unter bestimmten Voraussetzungen möglich sein, im gegenseitigen Einvernehmen eine Ehe fortzusetzen. Oft ist ein gleichmäßiges spirituelles Fortschreiten aber nicht gegeben und es treten Spannungen auf. In solch einem Fall ist es nötig, die eheliche Verbindung zu lösen, um frei zu werden für die vollkommene Verwirklichung. Sri Aurobindo verdeutlichte das Problem des vitalen Austausches:

 

"Bei jeder geselligen Vermischung von Menschen findet unwillkürlich ein gegenseitiges Ziehen lebentlicher Kräfte statt. Der Liebesakt ist eine der machtvollsten Weisen, voneinander die lebentliche Kraft zu schöpfen – oder, was auch oft geschieht, dass einer einseitig vom anderen schöpft, zu dessen großem Nachteil. Dabei ergibt sich Vieles, Gutes und Schlechtes – Freudentaumel, Gefühl von Stärke und Fülle, Bestätigung oder Schwächung und Entleerung, Eindringen guter und schlechter Eigenschaften, Austausch psychologischer Stimmungen, Zustände und Regungen, hilfreiche und schädliche Ideen, Niedergeschlagenheit, Erschöpfung – die ganze Skala.

Im gewöhnlichen Bewusstsein ist man sich dieser Dinge nicht bewusst; die Wirkungen kommen ins vordergründige Wesen, aber Ursache und Vorgang bleiben unbemerkt, weil der Austausch subtil und verborgen durch das sogenannte Unterbewusste stattfindet, das jedoch eher ein Hinterbewusstes ist, vom oberflächlichen wachen Geist verdeckt. Gelangt man in ein bestimmtes jogisches Bewusstsein, so wird man dieser verhüllten Bewegung sehr wohl gewahr, wird sehr empfindsam für alles Wirken und Widerwirken; doch hat man den Vorteil, bewusst einen Wall dagegen errichten zu können – nur annehmen was hilfreich ist, ablehnen, abweisen, hinaus- oder zurückwerfen, was schadet oder behindert. Auch Krankheiten können so von einem zum anderen übergehn, selbst solche, die medizinisch als nicht ansteckend oder übertragbar gelten.

Diese Tatsache lebentlichen Austauschs, die dir seltsam und ungewöhnlich vorkommt, wird ganz verständlich, wenn man sich klarmacht, dass Ideen, Gefühle usw. nicht abstrakte Dinge, sondern in ihrer Art völlig konkret sind und ihre Bewegungen nicht auf den einzelnen Geist oder Körper beschränken, vielmehr sich geradeso wie die "Wellen" der Wissenschaft hinausbegeben und sich jedem mitteilen, der als Empfänger dienen kann. Noch weniger als stoffliche Wellen sind die Menschen sich dieser geistigen oder lebentlicher Wellen bewusst; wird aber der feinartige Geist und Sinn an der Oberfläche tätig – was ja im Joga geschieht –, dann wird das Bewusstsein ihrer beim Empfangen gewahr und verzeichnet ihre Schwingungen unwillkürlich und genau."

 

 

Tatsächlich haben all diese unwissenden vitalen Bewegungen ihren Ursprung außerhalb, in der unwissenden universalen Natur; der Mensch formt in seinen äußeren Wesensteilen, mental, vital und physisch, die Gewohnheit bestimmter Reaktionen auf diese Wellen von außen. Diese Reaktionen betrachtet er dann als seinen Charakter (Ärger, Begehren, Sex usw.) und glaubt, es kann nicht anders sein.

Aber das stimmt nicht; er kann sich ändern. Es gibt ein anderes, tieferes Bewusstsein in seinem Inneren, sein wahres inneres Wesen, sein wirkliches Selbst, was aber von der äußeren Natur verdeckt wird.

 

Sri Aurobindo

 

 

 

 

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